Rainer Hohberg
Anfang der 1950er Jahre sorgten in Thüringen und Sachsen Gerüchte um so genannte Hüpfemänn-chen und Spiralhopser für Unruhe, ja sogar für Massenhysterie. Viele Menschen können sich noch gut erinnern – und möchten gerne wissen, was wohl dahinter gesteckt haben mag.
Merkwürdige Anfragen zu bekommen, ist für einen „Sagendetektiv“ nicht ungewöhnlich. Aber die Frage, die mir Eberhard Sölter aus Jena unlängst bei einem Vortrag stellte, hat es in sich: Ob ich et-was über die Hüpfemännchen wisse, kleine Gestalten mit Federn an den Füßen, die zu riesigen Sprüngen in der Lage waren? Die hätten in seiner Kindheit in Apolda alles in helle Aufregung ver-setzt… Ich kenne zwar die sagenhaften Hupfmännel, die vor Jahrhunderten den Schlosspark in Greiz unsicher gemacht haben sollen. Aber fantastische Wesen mit Sprungfederfüßen aus der jüngsten Vergangenheit? Herrn Sölters Frage wurde für mich der Beginn einer spannenden Re-cherche: Kaum zu glauben, wie viele Menschen seiner Altersgruppe tatsächlich über solche Erleb-nisse berichten können.
Das Verbreitungsgebiet dieser Wesen scheint sich von Thüringen über das Voigtland bis in die Lau-sitz erstreckt zu haben. In den Wirren der Nachkriegszeit und des beginnenden kalten Krieges tau-chen sie auf. Hans-Jürgen Voigt aus Weischlitz erinnert sich an die aufgeheizte Stimmung jener Zeit, als Flugblätter gegen Ulbricht vom Himmel fielen, die Eisenbahnbrücken über Elster und Göltsch aus Furcht vor Sabotage schwer bewacht wurden und auf einmal über Hupfmännel getuschelt wurde. Eine moderne Sage? Voigt berichtet, was damals von Mund zu Mund ging: „Sie hausen dort, wo niemand sonst hinkommt. In der Pirker Brücke mit ihren unheimlichen Kammern und Hohlräumen haben sie Unterschlupf gefunden. Es sind verkleidete Männer, die Sprungfedern un-ter den Schuhsohlen tragen, so dass sie sich in großen Sätzen wie die Kängurus fortbewegen kön-nen. Sie tragen Handschuhe, die in den Handflächen mit Reißzwecken präpariert sind, so dass sie dem Gegner das Gesicht zerkratzen können. Jeder weiß von den Hupfmänneln. Alle sprechen dar-über. Die tollste Geschichte berichtet man vom Kandelhof. Dort gab es eine alte Frau, die krankes Vieh besprechen konnte. Die Hupfmänneln setzten die Frau in einen Korb und schleppten sie vor der Nase der Grenzer hinüber in den Westen. Zu viert trugen sie an langen Stangen den Korb, wor-in die Alte abwechselnd lamentierte, alle guten Geister anrief und die schwarzen Springteufel ver-fluchte. Die Grenzer standen starr vor Staunen über den dreisten Menschenraub. Die Kalaschnikow mussten sie steckenlassen, um die Geisel der Hupfmänneln nicht in Gefahr zu bringen.“
Wie andere Sagengestalten auch, haben die Hüpfemännchen viele Namen: Hupfmännel, Hupp-männel, Hubbemännel, Springer, Spiralhopser oder Springstrolche. Sie geistern durch ländliche Gefilde, treiben auch in den Städten ihr Unwesen. Mal sind es monsterhafte Wesen, die leibhaftige Russen ermorden, dann wieder eher harmlose Kinderschreckgestalten. Dietrich Kühn aus Weimar erinnert sich an die Massenhysterie, die ihretwegen um 1950 in Erfurt herrschte. Der Küchenchef eines berühmten Hotels sei ihretwegen nachts beinahe verprügelt worden. Einmal sehr in Eile, hatte er sich nach der Arbeit nicht umgezogen und flitzte in seiner Berufskluft nach Hause, als er von einer aufgeregten Menschenmenge angehalten wurde. Nur mit Mühe konnte er sie überzeu-gen, ein normaler Mensch und kein Hüppemännchen zu sein. Zum Glück ließ man ihn ungeschoren laufen. (Fortsetzung folgt)
Ostthüringer Zeitung, „Thüringer Sagengeheimnisse“, Mai 2015.