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Die Zelle

Annerose Kirchner

 

Drau­ßen, im schwel­len­den Licht,
kein Hori­zont. Das Leben der anderen:
ent­fernt wie die Geräu­sche ihrer ziellosen
Schritte. Wie­der taucht das behaarte Kinn
durch beschla­gene Spie­gel. Erkannt
das Lächeln unter mür­ber Haut. Osmose
von Was­ser und Licht; die gesenk­ten Fußböden
von zahl­lo­sen lee­ren Rotweinflaschen
ver­stellt. Kor­ken­zie­her boh­ren ins gesplitterte
Tisch­bein und rich­ten sich auf wie zappelnde
Wür­mer Hung­rig schlür­fen und schlucken, fast
ersticken am gären­den Mund. Nachgeben
dem dur­sti­gen Hals und gur­geln, bis das Gedächtnis
lang­sam ein­schläft. Der schwin­dende Tag
nur noch regi­striert vom Verstummen
des krei­schen­den Säge­blatts. Die Summe EINS
als Ergeb­nis von EINS plus EINS
mit Kreide an der Zimmerwand
errech­net: Immer wie­der ergibt sie ein Leben.

(1987)


aus: Kel­ti­scher Wald. Gedichte, quar­tus-Ver­lag, Bucha b. Jena 2001.
Abdruck mit freund­li­cher Geneh­mi­gung der Autorin. Alle Rechte bei der Autorin.

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