Sandra Blume
Ich bin eine Rabentochter.
Ich vermesse das Land mit meinen Schritten,
erklimme Hügel um Hügel.
Meine Füße treten die Wege aus im Dorf
und das Dorf sieht aus den Fenstern zu,
wie ich mir Baum und Strauch,
Bäche und Häuser anvertraue.
Neugier treibt mich die steilen Hänge hinauf,
in die felsbewehrten Wälder,
bis ich hinunterblicke.
Auf das Dorf, über dessen Geschichten ich sinne,
dessen Vergangenheit mir das Gegenwärtige erhellt,
dessen Flurnamen ich erlerne:
Hangstein, Wachstein, Drachenstein,
Triftberg, Elsterberg, Heiliger Berg —
Das Dorf, in dem ich nicht geboren wurde,
während Mutter daheim
nun weinend hockt.
Mein Fuß trotzt sich hangaufwärts
die gleichgültigen Kiesel knirschen
die Wege öffnen sich,
das Land ist nicht länger Neuland.
aus: Lichtfänger, Jahresgabe der Literarischen Gesellschaft Thüringen, Bd. 19, Weimar 2021.
Alle Rechte liegen beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin.