Matthias Biskupek
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I
In einer anmutigen hügeligen Gegend lebte einst eine deutsche gepflasterte Landstraße. Sie schlug sich zwischen Büschen und Bäumen meist grad so durch. Bisweilen drückte sie sich an einzelnstehenden Gehöften vorbei und kehrte auch in allerlei Dörfern ein. Dort verweilte sie beschaulich. Sie schlug Böge um Berge und Burgen, ließ manche Baumgruppe links liegen und wich lange Zeit einem Fluß nicht von der Seite. Und immer dann, wenn sie über freies, zugiges Feld führte, schüttelten die Chausseebäume auf beiden Seiten die hohen Wipfel.
II
Die Landstraße begann in Hinstadt und endete in Herstedt, obwohl die Herstedter zunächst darauf bestanden, daß sie bei ihnen den Anfang nahm und in Hinstadt ihr Ende hatte. In einem Einigungsvertrag wurde festgelegt, von Ande und Enfang zu sprechen. So lebte man glücklich und sprachgeregelt viele Epochen lang.
III
Doch im weiteren Verlauf ihrer Geschichte empfanden die Hinstädter alsbald das Bier als verhagelt und die Herstedter wollten nicht mehr in saure Äpfel beißen. Den Hinstädtern paßte der Bäckermeister nicht mehr und den Herstedtern die Bürgermeisterin schon gar nicht.
IV
So fuhren nun ständig von Hinstadt nach Herstedt Äpfelautos und Biertonner, Bürgermeister-Innendekorateure und ein ganzes Bäckerdutzend. Von Enfang zu Ande, von Ande zu Enfang.
V
Nun lebte die Straße nicht mehr beschaulich, sondern modern. Ihre Kurven wurden geradegerückt; ihre Bäume neigten die Wipfel einsichtsvoll beiseite. Fort mit Pflaster, her mit Betonverband. Tägliche Frontbeschleunigungen gegen feindliche Hügelketten. Dörfer flogen ratzbatz rechtslink beiseite, stracks grub sich die Straße in Berge, donnerte durch Burgen, überwalzte den Fluß und war allhier immer schon da. Dieweil ihre Länge immer kürzer wurde und ihre Breite immer tiefer, bekam sie ringsherum ein immer schöneres, immer eiserneres Geländer.
VI
So fand sich alles eingekesselt im großen Rund der Geschichte: Ohne her und hin ward Hinstadt zu Herstedt. Jedes Her wurde hingemacht. Statt Hinundher kein Herundhin.
VII
Enfang ward Ande
aus: Rose Schwartz und die Folgen. Texte aus der Buchdruckerzeit, Berlin 2012.
Alle Rechte beim Autor.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors.