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Drei Männer fahren nach Reykjavik

Kai Mertig

 

Frei­tag Mit­tag, so gegen eins, zeigt Krü­ger schwit­zend in die Ferne, das Was­ser läuft ihm aus den Haa­ren, kannst du das sehen, sagt er, und nickt auf sei­nen Fin­ger, er zeigt in die Land­schaft, irgend­wie auf­ge­regt, Krü­ger schlürft aus einer Dose, gluck gluck gluck, und wir sit­zen auf sei­ner Bank hin­ter Esso, Krü­ger und ich und auch Katinka ist da. Ich sage seine Bank,
weil Krü­ger hier immer sitzt, was trinkt, was isst, Katinka strei­chelt. Um mehr geht es nicht. Auf die Art hat er sich ein­ge­rich­tet: Der Him­mel ist blau und die Lun­gen sind schwarz. Ein Satz wie ein Grab.
Er zeigt in die Ferne und schnippt, er schnippt obwohl da gar nichts ist. Kannst du das sehen? Ein biss­chen wie zau­bern ist das. Ich weiß, dass dort drü­ben die deut­sche Pro­vinz beginnt, sage ich. Und damit hört es auf. Aber ich weiß auch, dass neben mir ein Typ sitzt, den ich Krü­ger nenne, weil das rich­tig klingt, so alles in allem. Klaus Krü­ger, würde das nicht pas­sen, nicht zu beson­ders, nicht spektakulär.
Katinka sage ich, und er nimmt den Arm end­lich run­ter, das war wohl ein Wort. Auf ein­mal will er gar nichts mehr zei­gen. Mögt ihr euch, ich meine. Ist sie deine Freun­din oder was wird das, magst du sie. Katinka, so nenne ich die Katze dort drü­ben. Wieso kommt sie immer wie­der, füt­terst du sie. Mach den Mund auf Krü­ger! Er dreht den Kopf und schaut mich an.
Ganz regungs­los, aber das ist nichts Neues. Hä, sage ich, jetzt sprich‘ doch mal, magst – du – die – Katze. Seine Ant­wort fällt aus. Darin näm­lich sind die bei­den gleich: Sie haben nichts zu tun in der Welt, außer Sachen zu sehen, also sit­zen sie da und schwei­gen. Hurra, stum­mes Leben. Jeden Tag, so kurz vor zehn, macht es sich Katinka bequem, schaut Autos an, wie die in eine Wasch­an­lage fah­ren, ein Wagen nach dem ande­ren, darin sit­zen Men­schen, die fein ange­zo­gen sind, tsch tsch tsch, vorn kom­men die Autos sau­ber her­aus und die Men­schen darin schauen glück­lich aus, ein biss­chen, als wären sie mit­ge­putzt wor­den. Schön. Katinka kommt, schaut und war­tet. Krü­ger kommt, schaut und war­tet. Auto fährt rein, Auto kommt raus. Wenn es dun­kel wird, dann geht Krü­ger fort, und dann ist auch Katinka weg. Das Spiel ist immer das gleiche.
Ich frage noch mal: Wie ist das mit der Katze? Er starrt her­über und schiebt mit einem Fin­ger die Brille ins Gesicht. Bei­nah nach­denk­lich wirkt das. Sie ist mal zu mir gekom­men. Kriegt jetzt mein Mit­tag. Krü­ger steht auf und ver­schwin­det hin­ter einer Ecke. Nach drei Minu­ten ist er wie­der zurück, setzt sich hin genau wie zuvor. Hin­ter der Tanke bleibt die Zeit ste­hen, denke ich. Alles was jetzt ist, war vor­hin auch schon. Was soll man da den­ken. Nichts, bis auf das: Krü­ger hat das Essen gebracht. Mit­tag, das also meint er – eine Bock­wurst und zwei Schei­ben Toast. Lass es dir schmecken. Jaja , er mampft und nickt wie ein Gene­ral. Kaum zu glau­ben, wie der Krü­ger sein kann.
Auf die Art zumin­dest seh ich ihn: Aus dem Kopf sprießt so etwas wie Haar, ein Dut­zend an Fasern, das die obere Haut nur mit Not bedeckt. Die vor­de­ren Ansätze sind grau, aber an den Schlä­fen geht ihre Farbe in ein Braun über, das an mas­si­ves Holz den­ken lässt. Alt und schwer. In der Mitte des gesam­ten Gesichts sitzt eine Brille, die nicht recht pas­sen will. Das Gestell nimmt fast schon die Wan­gen ein. Was an den Haa­ren fehlt, betont das Gestell, vor allem die Augen, um die man Angst haben muss. Sie sind klein und tau­chen ab hin­ter dem Glas. Über Krü­gers Lip­pen, die wul­stig an die Pro­por­tio­nen sei­ner Nase anschlie­ßen, hängt ein Schnurr­bart, den man nicht ernst neh­men kann. Er schwingt wie Draht an sei­nen Enden und zeigt in Rich­tung der win­zi­gen Augen. Es ist sehr heiß in die­sem Som­mer und mit­ten darin sitzt ein Mann, in Turn­schu­hen mit Klett­ver­schluss, lan­ger Jog­ging­hose und einer Jacke aus Fleece. Haupt­sa­che prak­tisch. Som­mer wie Win­ter, der Krü­ger hat Prin­zi­pien und die hält er ein. Miez-Miez, tz-tz , er schwenkt den Ober­kör­per nach vorn. Katinka kommt und frisst das Brot.
Er schaut in die Land­schaft und hebt den Fin­ger. Das­selbe Spiel wie vor ein paar Minu­ten. Krü­ger will etwas zei­gen, ja das ken­nen wir schon. Kannst du das sehen, kannst du , nein Krü­ger, ich sehe immer noch nichts, und dann beißt er in die Wurst, Katinka und ich schauen ihm zu, jetzt ist er an der Reihe, er beißt was das Zeug hält, isst wie ein Mann, Krü­ger die­ser Prag­ma­ti­ker, unter­schätze den nicht, ein­mal wird es ganz dick kom­men und die Welt schaut sich um, zur Mit­tags­zeit, Krü­ger sitzt auf sei­ner Bank hin­ter Esso, Katinka neben ihm und er beißt in seine 1,80-Wurst, als wäre die Zeit ste­hen geblie­ben, ganz lei­den­schafts­los, ganz der Krü­ger, das Fett quillt oben aus der Wurst, die Pelle platzt, kann man da weg­se­hen, Krü­ger beißt rein, dass es ordent­lich knallt peng , nicht ein­mal peng , nicht zwei­mal peng , nein drei­mal, ganz scho­nungs­los, die Bock­wurst zer­platzt an den Lip­pen eines Akti­vi­sten aus der deut­schen Pro­vinz, und dann ist sie weg, die Wurst. Krü­ger wischt sich die Hände ab, weil die jetzt fet­tig sind, dafür muss dann die Hose her­hal­ten. Danach legt er beide Arme auf den Bauch. Bud­dha hat geges­sen und jetzt ruht er sich aus. Mit einem Male geschieht etwas: Klaus Krü­ger hat Mit­tag geges­sen und alles scheint sich ver­än­dert zu haben. Da kommt eine Sache, mit der ich nicht rechne. Plötz­lich redet er ganz von sich und in mehr als zwei Sät­zen, er hat was zu sagen, die­ser Krü­ger hat wirk­lich mal was zu sagen. Wer hätte das gedacht. Er erzählt aus hei­te­rem Him­mel von einem gewis­sen Car­los Ivan Rodri­guez und einem frem­den Mann aus dem Osten, der pol­nisch spricht, vor zwei Jah­ren seien sie hier gewe­sen, um das Auto zu waschen, sagt Krü­ger, und sie hät­ten ihn nach dem Weg gefragt, Krü­ger bleibt fast die Luft weg, als er davon spricht, er atmet schnell und sein Kopf läuft rot an, die klei­nen Augen wer­den uner­hört groß, sein Arm zeigt wei­ter in die Ferne. Sie woll­ten, dass er die Schei­ben putzt, nur das, und Krü­ger habe gesagt, dass er nicht von der Tank­stelle sei, son­dern auch nur ein Mann, der die Welt sehen will, des­halb sei er da, Car­los und der andere Mann hät­ten gelacht, bestimmt fünf Minu­ten, bestä­tigt mir Krü­ger, und sie hät­ten gesagt, dass sie wie­der her­kom­men wer­den und dann wer­den sie ihn mit­neh­men, ihn, den Krü­ger, und zu dritt mit dem Auto nach Reykja­vik fah­ren, Glet­scher sehen, Gey­sire, all das. Wenn sie kom­men, sagt Krü­ger, dann bin ich bereit. Weißt du , ich mach‘s wie die Wurst. Irgend­wann werd ich ein­fach weg sein und kei­ner weiß, wo ich dann bin.
Wir schwei­gen uns an. Ob er etwas von Reykja­vik wisse, frage ich. Aber Krü­ger ant­wor­tet nicht. Und warum aus­ge­rech­net Island. Das ist eine Insel, ich meine, wie wollt ihr da mit dem Auto hin. Du glaubst zwei Män­nern die du nicht kennst? Krü­ger sagt nichts und strei­chelt die Katze. Er steht auf und geht, lang­sa­men Schrit­tes, wie ein schwe­rer Bud­dha, dem das Lächeln fehlt. Es ist noch nicht dun­kel, aber Krü­ger geht fort. Katinka geht mit und ich fahre heim. Denn Mor­gen ist ja auch noch ein Tag.


Erst­druck in tsche­chi­scher Über­set­zung (Literárne-kul­turní cas­opis H_ALUZE, Nr. 14, S.35–37, Ústí nad Labem/ Tschechien)
Abdruck mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Autors.

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