Annette Seemann
Waren es negroide Stimmen von Amber, kupferharte Schreie
Oder der Klang dumpfen Regens und Not, die es nicht gab für uns zwei?
Gemeinsam war uns der uralte Traum vom Leben;
Der Herbst: Deine Augen, hohes blaues Zimmer
voll toten Laubs. Welch endloser, friedloser Horizont, welch
sonntägliche Monotonie verfolgte unseren Schritt, am Rande der Städte
bei Tagesbeginn, Traumesbeginn. Der alte Lebensentwurf, ohne Gleichen,
ohne Hoffnung, verfolgte den zarten, barbarischen Stoff:
unsere Existenz. Oh, rein waren unsere ernsten Gesten:
Deine Lippen zu kosen oder mein Gesicht oder die schönen,
glatten Beine, wo sich die doppelte Gier lebendig verwurzelt,
von den Fesseln bis zum besiegten Nacken, und der Geschmack
reifer, fader Agaven, so enttäuschend für unsere unstillbaren Münder,
diese Blitznächte, wüstenhaft, als wir die Spuren suchten,
jeder des anderen wahrhaftig.
Die Morgendämmerung jedoch ist höllischer Stein
schwanger mit Elend, Reifung des Lachens, unausdeutbar,
gleichwohl vertraut, ist angeschlagenes Land, glänzt in mineralischem
Warten. Die Morgendämmerung ist Tiefe heiseren Abschieds.
Wer erinnert sich dran, junges trockenes Mädchen bar des Lächelns, oh Einsamkeit,
und deine grauen Augen, an das reizende Spiel von einst? Bleiben die Lumpen,
buntbemalt, mit denen wir unsere Majestäten drapierten. Und die Sorge.
Bleiben das Nichts, das Lachen, der uralte Traum,
bleibt jener tägliche Entwurf: Zu leben trotzdem…
Angst ist ein Banner, zerzaust von ewigem Wind.
17. Februar 1945
Erstdruck in »Akzente«, Heft 6, 2011. Alle Rechte bei der Autorin. Mit freundlicher Genehmigung der Autorin.