Antje Babendererde
Ein großer Sprung im Buch. Nach einer Party, die beinahe böse für Sim endet, hat sie endlich begriffen, wem ihr Herz wirklich gehört – nämlich dem blinden Lukas, auf den sie sich immer verlassen konnte. Jimi erkennt, dass er Sim verliert.
Auf einmal vernahm Lukas ganz in der Nähe ein ängstliches Schnauben. Er lauschte. Hörte ein verstörtes Wiehern und Vorderhufe, die krachend auf den Boden schlugen. Irgendjemand war dabei, ein Pferd zuzureiten. Jemand, der wütend war und unnötig hart zu dem Tier.
„Wer ist da?“
Ein hohes Wiehern war die einzige Antwort. Das war Thunder, ein falber Wallach, der erst seit wenigen Tagen auf der Koppel stand. Er gehörte Bernadine und sie hatte Jimi gebeten, ihn zuzureiten.
„Was soll das, Champ? Hör auf damit!“
„Was das soll?“ kam die wütende Antwort. „Der Bastard kapiert es einfach nicht.“
„Das reicht, okay? Auf diese Weise machst du Thunder völlig unbrauchbar.“
„Woher willst du das wissen, Pferdeflüsterer? Hat er dich um Hilfe gebeten?“
„Er ist verängstigt und durcheinander.“
„Ach ja? Ich bin auch durcheinander, Amigo.“
Jimi sprang vom Pferd und kam mit schnellen Schritten auf ihn zu. „Du und Sim, ihr wart heute Nacht auf einmal verschwunden und dann kamen die Bullen.“ Er stieß Lukas mit der flachen Hand vor die Brust. Es war kein derber Stoß, eher ein Schubs, doch Lukas konnte die zornigen Schwingungen spüren, die von Jimis Körper ausgingen.
„Du glaubst doch nicht wirklich, ich hätte die Bullen gerufen.“
„Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll.“
„Sim war übel, sie hat gekotzt. Deshalb habe ich sie weggebracht.“
Jimi packte ihn am Arm. „Und wo kommst du jetzt her?“
„Von wo schon?“ Lukas machte sich mit einem Ruck los. „Sim hat dich mit Marola gesehen, Jimi.“
„Und du bist gleich als Tröster auf den Plan getreten, was?“
„Sie hat sich volllaufen lassen. Dabei hat sie eine gekokste Cola erwischt und war völlig weggedreht. Ich konnte sie nicht alleine lassen.“
„Ach was, hat sie sich ausgeheult bei dir? War‘s schön?“
„Ich hatte dich darum gebeten, Sim in Frieden zu lassen. Sie hat da ein paar Probleme und kann nicht noch mehr gebrauchen.“
„Probleme? Seit wann bin ich ein Problem?“
Lukas schwieg. Wenn Jimi diesen Tonfall drauf hatte, war nicht mit ihm zu reden. Er hätte nie gedacht, dass der Champion mal eifersüchtig auf ihn sein könnte.
Jimis offene Handflächen trafen Lukas mit voller Wucht vor die Brust. Er schnappte nach Luft und taumelte zwei Schritte zurück. Ghost schnaubte drohend, aber das beeindruckte Jimi nicht.
„Hast du sie gevögelt?“, zischte er. „Ich durfte die Nacht in der Zelle versauern und der große Frauenversteher vögelt mein Mädchen.“
Noch ein Stoß. Jetzt stand Lukas mit dem Rücken zur Bretterwand des offenen Stalls. Seine Hände tasteten über das rissige Holz. Bleib ruhig, dachte er. „Ich habe nicht mit ihr geschlafen, Jimi.“
„Versuch nicht, mich zu verarschen, okay?“
„Ich bin dein Freund, Jimi. Ich belüge dich nicht. Du belügst dich selbst. Sim ist nicht dein Mädchen.“
„Wer sagt das? Du?“
Lukas reichte es. Am liebsten hätte er Jimi eine verpasst. Aber bei einer Prügelei war derjenige, der sehen konnte, eindeutig im Vorteil. Und er stand jetzt schon mit dem Rücken zur Wand.
„Du bist ein Arschloch, Jimi, ein großes, sehendes Arschloch. Du hast mit Sim geschlafen, obwohl sie dir nichts bedeutet.“
„Ich schlafe, mit wem ich will, okay?“
„Ja, klar.“
Lukas hörte, wie Jimi sich umdrehte. Kiesel knirschten unter seinen Schritten, die sich entfernten. Erleichtert atmete er auf. Aber dann kam Jimi plötzlich schnellen Schrittes zurück. Lukas drückte sich mit dem Rücken gegen die Holzwand und erwartete Jimis Schlag, von dem er nicht wusste, wo er ihn treffen würde. Sämtliche Muskeln in ihm waren angespannt.
Doch dann spürte er Jimis Atem in seinem Gesicht und einen Finger, der sich in seine Brust bohrte wie ein Pfeil. „Du irrst, dich, Amigo. Sie ist mein Mädchen und sie bedeutet mir viel. Mit dir Blindgänger gibt sie sich bloß ab, weil du ihr leidtust. Sie hat eben ein großes Herz, unsere Sim.“
Er antwortete nicht und diesmal ging Jimi wirklich.
Lukas versuchte, das Zittern unter Kontrolle zu bringen. Wie immer war alles dunkel um ihn herum, doch die Welt schien sich zu drehen. Es waren nicht Jimis Worte, es war das Gift, das darin gelegen hatte und das sich nun schleichend in Lukas Körper ausbreitete.
Julischatten, Arena Verlag, Würzburg 2012, Taschenbuchausgabe, Würzburg 2016.
Der Abdruck erfolgt mir freundlicher Genehmigung des Arena Verlags Würzburg.