Kai Mertig
es ist vier uhr in der nacht und du rufst mich an, weil karl dich verlassen hat. du wollest kein sterbenswörtchen mehr mit diesem schuft reden, sagst du, aber er habe seine jacke bei dir vergessen. du würdest sie ihm jetzt per post in einem großen gelben päckchen schicken, obwohl er nicht mal einhundert meter entfernt wohnt von dir.
während du das alles sagst, stehst du auf dem balkon oder zumindest draußen, deine stimme geht ins weite, sie ist etwas leiser als sonst, so als würdest du von mir wegsprechen. wahrscheinlich rauchst du gerade voller enttäuschung und wut eine nach der anderen und du fühlst dich zumindest ein klein wenig gut dabei, du rauchst gegen karl und gegen die welt und wenn deine zigaretten alle sind, wirst du zum nächsten automaten rennen, der nächste steht vor karls haus, du wirst losgehen mit der entschlossenheit einer frau über fünfunddreißig, bitte versteh das nicht falsch, du wirst dich beeilen und versuchen, möglichst unauffällig zu sein, in jogginghose und shirt, weil nur karl jacken hat und du immer seine trägst. du hast die jacke sicher schon lange verpackt, jetzt frierst du lieber um ihm zu zeigen, dass das hier keine spielchen mehr sind. ich kenne dich doch. er hat ein knallrotes gummiboot, in diesem gummiboot und so weiter, linda, warum hörst du das jetzt. du bist wieder im zimmer. deine stimme ist kräftig und dieser endlos schlechte song läuft lautstark im hintergrund. ich wünsche mich ins bett und dich in die dicken arme von karl, in seine gummibootarme, weil du da zumindest glücklich wärst und ich dir gar nicht mehr zuhören kann.
„gute nacht“, sage ich. „gute nacht“, sagst du.
Erstdruck in tschechischer Übersetzung (Literárne-kulturní casopis H_ALUZE, Nr. 14, S.35–37, Ústí nad Labem/ Tschechien)
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.