Olaf Trunschke
ZOO
Wir leben in einem Käfig aus Angst. Sein Gitter ist uns ins Fleisch gewachsen: Unser kraftvoller Gang, unser stolzer Blick verdanken sich der Stützkraft der Stäbe: Macht, Geltung, Ansehen … – Die Stütze zu verlieren, ist unsere größte Angst. Und die Angst ist unser Käfig.
PSALM 4711.
Mein GOtt: Wer nur hat den führenden Köpfen so ins Gehirn geschissen, daß es zu stinken beginnt, wenn sie nur‘s Maul aufmachen; woher, mein GOtt, diese braunen Gedanken?
Klowärter kandidieren für öffentliche Ämter. Mit Bürste und Lappen beseitigen sie jedes Problem. Unsere Bedürfnisse sind bei ihnen am rechten Örtchen.
Schon sind die Tribünen kaum noch zu unterscheiden von den Abtritten. An den Masten wehen die Fahnen der Globus-Geruchsverbesserer. Die Zeitungen, täglich frisch auf Dufttücher gepresst, zitieren Darmgeräusche: Die Verdauungslage der Nation ist gesund.
Diese Erde, mein GOtt, ist ein Scheißhaus: Spülung. Sintflut. Deckel zu.
DER NAME DES GESETZES
Am Rande unserer Stadt, dort wo die Bagger wühlen, haust in einem hohlen Felsen das Gesetz: ein graugrüner Drache mit zwölf Köpfen, wovon einer in jeden Monat des Jahres hineinhängt und aus dem Maul stinkt.
Einige der Alten wollen sich noch an Zeiten erinnern, da man freiwillig zum Gesetz zog, um im Schatten seines Horstes Schutz zu finden vor umherstreifenden Horden. Ja, es wurde so geschätzt, daß Hüter berufen wurden, denen es oblag, das Gesetz zu pflegen.
Das Gesetz ist geschlechtslos: Es vermehrt sich durch Teilung. Das heißt, eigentlich ist es ein Wachstum, das an den Köpfen beginnt, genauer gesagt: an der Zunge, die sich plötzlich längs spaltet und von Stund an verschiedene, nicht selten einander widersprechende Urteile verkündet. –Dieses Dilemma löst sich durch Aufspaltung in zwei Köpfe, die einander naturgemäß feindlich sind. Nur selten bestehen beide längere Zeit nebeneinander. Auch daß sie sich gegenseitig verschlingen, ist denkbar, wenngleich noch nie vorgekommen. In letzter Zeit ermüden sie rasch und erschöpfen sich in Garstigkeiten. Es ist ein Gezeter und Gezänk, daß es die Luft verpestet.
Ein Urteil widerspricht dem anderen; rings um das Gesetz stehen die Säulen derjenigen, die im Gehorsam versteinert sind. Alles, was sich ereignet, geschieht in seinem Namen. – Aber das Gesetz hebt höchstens einmal müde ein Augenlid. Nie erwachen alle Köpfe zugleich.
Wir sind alt geworden, das Gesetz wurde alt: Mit der Starrköpfigkeit der Alten beargwöhnen wir einander. Neue Generationen dienen heute im Namen des Gesetzes. Unsere Stadt will wachsen, ihre Mauern verlassen, die Bagger stehen mit geschulterten Schaufeln. Das Gesetz aber schweigt. Wir wissen nicht einmal, wie wir es ansprechen sollen.
Und wir sehnen und fürchten den Tag, da einer aus der Schar der Geduldlosen aufsteht und den Streit mit einem Streich erledigt. Wir wissen nicht wer. Auch wann es sein wird, wissen wir nicht. Wir wissen nur: Er wird Unrecht heißen.
aus: Schöne Bestien, Amok:Books, Berlin 2012.