Begegnung mit dem syrischen Dichter Hamed Abboud – Eindrücke einer Lesereise in zwei Teilen durch Thüringen
Im Januar 2016 erreichte mich eine Nachricht von Dr. Paul Pasch, dem Leiter des Thüringer Landesbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung; die Schweizer Journalistin Renate Metzger-Breitenfellner hatte ihm von einer Lesung mit dem in Österreich als anerkannter Flüchtling lebenden syrischen Dichter Hamed Abboud in Luzern berichtet. Wir verständigten uns rasch, dass sich hier eine Gelegenheit zu einer Begegnung mit Literatur aus Syrien ergeben könnte. Als ich die Idee zu einer kleinen Lesereise durch Thüringen bei einer Sitzung des Kulturrates Thüringen erwähnte, berichtete der Heimatbund Thüringen von seinem Projekt ParTHner und wir verständigten uns gleich, dass wir Hamed Abboud gemeinsam nach Thüringen einladen wollen.
Im Juni reisten wir dann mit Hamed Abboud, Vetretern unserer Verbände, dem Übersetzer Tareq Hatahet, der dank der überdurchschnittlichen Deutschkenntnisse unseres Gastes bei den Lesungen mehr oder weniger zur Untätigkeit verurteilt war, und dem Fotografen Norbert Sander in den Thüringer Norden auf Burg Bodenstein bei Worbis, nach Unterschöbling bei Königsee und nach Weimar. Zu erwähnen ist unbedingt, dass wir uns darauf verständigt hatten, die Lesungen vorwiegend im ländlichen Raum mit Partnern vor Ort durchzuführen. In unmittelbarer Nähe von Burg Bodenstein, die eine Evangelische Familienerholungs- und Begegnungsstätte beherbergt, befindet sich eine Flüchtlingsunterkunft für junge Männer. Wenige Tage vor der Lesung waren alle syrischen Flüchtlinge vom Heim in eigene Unterkünfte verteilt worden, die aufgrund des nun langen Fahrweges zur Burg nicht zur Lesung kommen konnten. Ärgerlich war das nicht. Im Gegenteil freuten wir uns mit allen, die nun in ihren eigenen vier Wänden lebten. Und die Veranstaltung selbst, zu der etwa 25 Besucher kamen?
Hamed Abboud berichtete zunächst aus seinem Leben und von seiner Flucht nach Österreich. Aufgewachsen nahe der irakischen Grenze, die Eltern Lehrer, ein Bruder Rechtsanwalt, einer Ingenieur, die Schwester Apothekerin, er selbst Student der Telekommunikation. All das zerbrach nach der Revolution in Syrien vor sechs Jahren und dem Beginn des Krieges, er selbst konnte sein Studium in Aleppo nicht abschließen. Der Vater, nahe der 70, blieb zurück in Damaskus. Das Fazit: ein Bruder in Frankreich, die Mutter und die Schwester in Griechenland, ein Bruder und er selbst in Österreich. Immerhin: keine Todesopfer. Seine Flucht: ein Jahr Ägypten, eine Station in Dubai, ein Jahr in der Türkei, von Griechenland auf der sogenannten Balkan-Route bis an die österreichische Grenze, dann nach Österreich, ins Burgenland.
Hamed Abboud schreibt lange Gedichte. Gedichte, die vor allem den Tod in all seinen Spielarten thematisieren. Die vom Tod handeln, um den Menschen Hoffnung zu geben, die gegen die Verzweiflung geschrieben sind. Das Erstaunlichste, vielmehr das Selbstverständlichste ist, dass sich in den Gedichten von Hamed Abboud die syrischen Menschen genau so wiederfinden, wie die deutschen Menschen. Es sind Gedichte von Hoffnung, vom menschlichen Miteinander; sie zeigen, dass die Poesie wie die Musik eine internationale Sprache ist, die all jede verstehen können, deren Basis die gemeinsame menschliche Kultur ist. Übertragen ins Deutsche hat sie die in Köln lebende Übersetzerin und Nachdichterin Larissa Bender.
Bei den drei Lesungen, die von Hans-Jürgen Döring, Wolfgang Haak und Walter Sachs moderiert wurden, eroberte Hamed Abboud sein Publikum jeweils im Sturm, nämlich deshalb, weil den Zuhörern klar wurde: hier sitzt einer wie ich, wie wir, dessen Denken von meinem eigenen nicht weit entfernt ist. Einer für den das Menschsein mehr bedeutet als der abstrakte Begriff der Religion, ohne deren Berechtigung in Frage zu stellen; einer, der sagt: Wir müssen auf die Menschen zugehen, ihnen von uns berichten, damit sie den Nachbar, den Bruder, den Freund in uns erkennen können. Was Hamed Abboud uns auf den Fahrten von und zu den Leseorten erzählte, was wir beim Essen, beim Kaffee oder einem Glas Tee erfuhren, war für alle, die ihn kennenlernten, ein grundlegender Kurs in Völkerverständigung (mag dieses Wort auch abgegriffen klingen), der unsere Sinne schärfte für die Notwendigkeit persönlicher Begegnungen mit unseren neuen Nachbarn in Deutschland und unseren Nachbarn, sei es in Syrien, sei es im Irak oder in Afghanistan.
Als Hamed Abboud am Ende der Woche nach Österreich zurückfuhr, verließ uns ein Freund, den wir gewonnen hatten. Wenige Wochen später verständigten sich alle Organisatoren, dass sie an diesen Erfolg anknüpfen wollten. Also luden wir Hamed Abboud zu einer zweiten Lesereise nach Thüringen ein. Er kam im Oktober 2016 zu einem neuerlichen Besuch nach Weimar. Auf der zweiten Lesereise begleitete uns der Oud-Spieler Sarmad Majid, der seit 2015 in Weimar lebt.
Von Weimar aus fuhren wir nach Rudolstadt, nach Mühlhausen und nach Altenburg. Daniela Danz, Christoph Schmitz-Scholemann und Wolfgang Haak lasen die deutschen Übersetzungen von Larissa Bender und sprachen mit dem Dichter. Müßig, den Erfolg zu erwähnen. Erwähnen läßt sich, dass er inzwischen viel besser Deutsch spricht und alle, die von ihm erfuhren, dass er dafür ein Jahr gebraucht hat, gingen in sich. Denn alle wissen, dass keiner von uns in einem Jahr nur annähernd so gut Arabisch sprechen würde. Seine Mutter und seine Schwester leben inzwischen in Frankreich. Hamed Abboud ist inzwischen nach Wien umgezogen und hat sein Studium wieder aufgenommen.
Wir haben Hamed Abboud auch 2017 wieder eingeladen, nachdem im Frühling sein Gedichtband „Der Tod backt einen Geburtstagskuchen“ im Verlag Pudelundpinscher in der Schweiz erschienen ist. Hamed Abboud ist unser Kulturbotschafter in Österreich.
Jens Kirsten