»Wanderlust oder Die Sehnsucht nach dem Paradies« Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung vom 01. Juli 2017 bis 29. Oktober 2017 im Stadtschloss Eisenach. Hg. Stadtverwaltung Eisenach / Kulturamt und Thüringer Museen. Redaktion: Jens Kirsten, Reinhard Lorenz, Eisenach 2017, 72 S., 10 €.
Zum Inhalt:
Hermann Glaser schlägt in seinem Beitrag, der mit denen von Justus H. Ulbricht und Ulrich Grober am Beginn steht, einen kulturgeschichtlichen Bogen vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Das Wandern ist für Hermann Glaser ein „Hinaustreten aus der alltäglichen Welt mit ihren Pflichten und Aufgaben“ und stimmt damit den Grundton für die übrigen Beiträge. Der von ihm erwähnte „Taugenichts“ aus Eichendorffs gleichnamiger Erzählung steht pars pro toto für den Aussteiger oder Außenseiter, der sich dem Fluss des bürgerlichen Lebens entzieht. Ulrich Grobers Beitrag setzt sich mit der Rückbesinnung auf das Thema Wandern in der Gegenwart auseinander. In einer Zeit, in der sich das Klima der Erde drastisch verändert, Vogelbestände in Deutschland um bis zu achtzig Prozent zurückgegangen sind und die industrielle Land- und Viehwirtschaft zur Produktion riesiger Abfallberge von Lebensmitteln geführt hat, ist eine Orientierung auf alte und neue Denkansätze unerlässlich. Dass sich für das Thema Landschaft vor allem auch die junge Generation interessiert, die in den kommenden Jahrzehnten in dieser Welt leben muss, gibt Hoffnung. Ulrich Grober führt das, was in vielen der hier versammelten Texte angesprochen wird, in 16 Abschnitten zu einem »Plädoyer für ein zukunftsfähiges Wandern« zu- sammen. Man könnte auch sagen: zu einem Manifest des künftigen Wanderns.
Dass wir Hamed Abboud gebeten haben, uns einen Text über das Wandern zu schreiben, der vor allem ein Text über den Traum vom Paradies geworden ist, hat seine Ursache in zwei Begegnungen mit dem syrischen Dichter 2016. Auf Vermittlung der Schweizer Journalistin Renate Metzger-Breitenfellner luden wir Hamed Abboud zu einer interkulturellen Lesereise nach Thüringen ein, auf der er sein Publikum begeisterte. Beindruckt hat uns der Dichter, der über den Tod schreibt und vor allem der Mensch, der eine Lebenszuversicht und ‑freude ausstrahlt, die uns Deutschen, die wir doch an unserem gesicherten Leben oft so vielerlei auszusetzen haben, ein Beispiel gibt. Hamed Abboud ist von Griechenland über Mazedonien auf der sogenannten Balkanroute bis nach Österreich gewandert. Gewandert, um zu überleben und nicht, um sich an der Schönheit der Natur zu erfreuen. Dennoch gehört diese Art der (Aus-)Wanderung unbedingt zum Wandern dazu. Paul-Josef Raue hat sich auf seiner Wanderung entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze auf eine Spurensuche begeben, die ebensoviel mit dem Traum vom Paradies zu tun hat, der für viele Menschen tödlich endete.
Dass Wandern nicht jedem Freude bereitet und elterlich verordnete Gewaltmärsche sich nachhaltig auf das spätere Wanderverhalten auswirken können, weiß Kathrin Schmidt zu berichten. Ihr Rückblick auf die wochenends angesetzten Wanderungen mit dem Vater künden jedoch nicht nur vom inneren Protest des Kindes; sie schildert auch, wie auf den Wanderungen en passant ihr Sinn für Sprache geweckt wurde.
Wolfgang Haak wandert auf dem schmalen Pfad der Jena umgürtenden Kernberghorizontale und begegnet dort einigen Bekannten aus der Literatur. Mag das dem einen oder anderen unrealistisch und verträumt anmuten, so wird sein
Text, der weit mehr über das Wandern erzählt, als es auf den ersten Blick scheinen mag, andere erfreuen. Die Schönheit der Landschaft, ob in der Provence oder in Thüringen, hat zu allen Zeiten Schriftsteller inspiriert, über sie zu schreiben. Für Wolfgang Haak sind literarische Figuren nicht in der Vergangenheit gebunden. Er zeigt uns, dass sie von jedem Leser wieder zum Leben erweckt werden können.
Daniela Danz schreibt über das Gehen und die Entschleu- nigung. Dabei verlangsamt sie den Blick des Lesers Schritt für Schritt. Vom Brachland in die Straße, von der Straße ins Haus, vom Haus in den Tunnel. Ihr Text schärft unsere Sinne für das Bewusstwerden der eigenen Fortbewegung. Schließlich nehmen uns zwei Texte von Jan Volker Röhnert und Wulf Kirsten mit in die Gegend zwischen Weimar und Rudolstadt. Jan Volker Röhnerts Notate einer Wanderung, die ihren Ausgang am 80. Geburtstag von Wulf Kirsten nimmt, führt 40 Kilometer von Weimar nach Rudolstadt, auf dem wir den Gedanken des Dichters Röhnert folgen können.
Wulf Kirsten schließlich, der sich mit über 80 Jahren an derartig dimensionierte Fußmärsche über 40 und mehr Kilometer in besagtem Gelände und anderswo nurmehr zu erinnern vermag, allenfalls Teilstrecken bewältigt, lässt in seinem Beitrag manche Wanderung Revue passieren und nimmt den Leser auf seinen Abschweifungen mit durch ein bewegtes Wanderleben, flankiert durch eine Wanderung von Rudolstadt nach Weimar.